Gábor Bolla wurde am 18. Oktober 1988 in Ungarn als Sohn einer Sinti und Roma Familie geboren – in eine Kultur mit einer großen Musiktradition also, die eine Reihe bemerkenswerter Musiker hervorgebracht hat. Ihr bekanntester Vertreter im Jazz ist Gitarrist Django Reinhard. Seine ungewöhnliche Art zu phrasieren, als auch seine eigenständigen melodischen und harmonischen Wendungen, machten ihn zu einer Legende. Solch eine Spieltechnik entwickeln zu können, lag nicht zuletzt auch an seiner Herkunft: In der Kultur der Sinti und Roma hat sich die Tradition des Selbsterlernens und -entdeckens noch erhalten. Sie haben sich dadurch eigenwillige Spieltechniken und Stilelemente bewahrt.
Auch Gábor Bolla ist Autodidakt. Früh erlernte er frei und virtuos auf der Klarinette zu spielen und gewann bereits mit 12 den ungarischen Musikschulwettbewerb. Über seine musikbegeisterten Eltern kam er bald zum Jazz und wechselte zum Saxofon. Es folgte eine Wunderkind-Karriere: Nach nur sechs Monaten Üben auf dem Tenorsaxofon wurde Bolla von Robert Maloschik vom Öffentlichen Ungarischen Radio entdeckt und gefördert. Schon bald tourte er mit den Jazzgrößen seines Heimatlandes und wurde für das Getxo Jazz Festival im spanischen Bilbao ausgewählt. In dieser Zeit lernte Bolla den um einige Jahre älteren, klassisch ausgebildeten Pianisten Robert Lakatos kennen, der ihn bis heute als sein musikalischer Seelenverwandter begleitet. „Wir sind wie Brüder“ – sagt Bolla über ihn.
Mit 15 wurde er als bisher einziger Teenager und Ungar für das Halbfinale des prestigeträchtigen Saxophon-Wettbewerbs beim Montreux Jazz Festival nominiert. Danach öffneten sich viele Türen. Er wurde als Gastsolist für das weltberühmte Vienna Art Orchestra eingeladen und spielte mit US-Stars wie Johnny Griffin, David Murray, Kirk Lightsey sowie Gregory Hutchinson. 2004 gewann Bolla den Hans Koller Preis als „Talent des Jahres“, eine Art österreichischer Grammy, der höchst selten an Nicht-Österreicher geht. Und wieder ein Jahr später erhielt er mit seinem Quartett beim Festival in Avignon den Hauptpreis der Jury und den Publikumspreis. Nach einem gefeierten Deutschlandkonzert von Bolla im April 2011 lobte die Frankfurter Allgemeine Zeitung den jungen Saxofonisten als einen „Improvisator von überwältigender Eigenständigkeit“.
Der Bebop ist Bollas große Inspirationsquelle. Messen möchte er sich an all den hochvirtuosen Musiker, die sich über die Jahre immer wieder neu definiert haben. Er legt dabei einen äußerst reifen Anspruch zu Tage: „Für mich ist die Hauptsache, all die Musik, die ich wirklich mag, durch meine eigene Brille zu spielen. Man versucht immer neue Sachen zu finden.“ Diese Idee des Suchens und Entdeckens, der tiefgreifenden Auseinandersetzung mit sich selbst und seinen musikalischen Einflüssen bildet Bollas künstlerisches Leitmotiv.
Beeindruckende und prägende Stationen liegen bereits hinter Gábor Bolla, die er 2012 für sein ACT-Debüt „Find Your Way“ (ACT 9529-2) in die Waagschale wirft. Mit dabei sind neben Robert Lakatos die Schweizer Jazz-Stilisten Heiri Känzig am Bass und Weltklasse-Schlagzeuger Jojo Mayer. Als Gast ist zudem der Geiger Lajos Sārközi zu hören. „Auf diesem Album haben wir versucht, vor allem auch meine Gypsy-Herkunft zu repräsentieren.“ Kommentiert Bolla. Doch auch seine anderen musikalischen Einflüsse kommen nicht zu kurz. Django Reinhardt, Bartók, Monk, Rollins und Coltrane, Modern Jazz Quartet oder Stevie Wonder, was auch immer Vorlage oder Inspiration für den jungen Ungarn ist, auf der Suche nach neuen Klängen und einer eigenen musikalischen Identität befindet sich Gábor Bolla mit „Find Your Way“ auf der richtigen Spur.