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Gerardo Núñez
Jazzpaña II

Jazzpaña II
Jazzpaña II

Produktinformationen

Besetzung

Gerardo Núñez - acoustic guitar
Chano Dominguez - piano
Fareed Haque - acoustic & electric guitar
Jorge Pardo - tenor & soprano sax, flute
Perico Sambeat - alto & soprano sax
Carles Benavent - electric bass
Renaud Garcia-Fons - acoustic bass
Tino Di Geraldo - percussion & drums
Cepillo - cajón
Esperanza Fernandez - vocals
Las Corraleras - vocals & percussion

Special Guest:
Michael Brecker - tenor sax


Aufnahmedetails

Digital recording at Sonoland, Madrid on June 5 - 11, 2000
Engineered by Miguel Angel de la Vega
Recording ass.: Hector Segrario
Mastered by Adrian von Ripka, 24 bit super mapping at Bauer Studios Ludwigsburg
Produced by Siegfried Loch


Jazz und Flamenco? Beim ersten Gedanken sind das noch zwei Welten, die nichts miteinander zu tun haben. Bei näherem Vergleich zeichnen sich jedoch zahlreiche verblüffende Parallelen ab. Der Jazz lässt sich wohl ungestraft als die Musik des 20. Jahrhunderts bezeichnen. Zwar zeigte er sich selten massentauglich, aber sein Verdienst war es, fast alle Stile der Populärmusik nachhaltig beeinflusst zu haben, ähnlich wie der Flamenco die iberische Popmusik. Man sagt, dass die Wiege des Jazz im Mississippi-Delta, im schwül-warmen Klima des geheimnisumwitterten New Orleans stand. Dividiert man diesen aufregenden zeitlosen Stil auseinander, finden sich Rhythmen und Melodien aus Afrika und der Karibik, Harmonien aus der Alten Welt, selbst Synkopen aus dem schottischen Hochland. Der Flamenco gehört  zu den ältesten bekannten Volksmusiken in Europa. In ihm mischen sich altiberische, jüdische, maurische, arabische, byzantinische und letztendlich sogar indische Farben, weil die Zigeuner, oder Gitanos, wie sie in Spanien genannt werden, ihre Wurzeln in dem riesigen asiatischen Reich wissen. Im 15. Jahrhundert kamen sie nach Spanien, beeinflussten die Kultur dort nachhaltig und blieben doch stets eine verfolgte, unterdrückte Minderheit - wie die Afro-Amerikaner, die als Schöpfer des Jazz gelten. In der heute bekannten Form ist der Flamenco, wie auch der Jazz, etwa hundert Jahre alt. Auch emotionale Gemeinsamkeiten lassen sich mühelos feststellen: Die eine wie die andere Musik funktioniert nicht ohne Leidenschaft, ohne innere Glut. Flamenco und Jazz leben vom Herzblut, von der unüberhörbaren Melancholie. Der Blues hat sie einst in den Jazz eingeschleppt und der Flamenco wird gerne als spanischer Blues apostrophiert.

So viele Parallelen – und doch dauerte es eine kleine Ewigkeit, bis sie zwei Ikonen des Jazz auffielen. Der legendäre Komponist und Arrangeur Gil Evans und der gottgleich verehrte Trompeter Miles Davis waren es, die Jazzhörer für den Flamenco oder zu mindest iberisch gefärbte Musik sensibilisierten. Ihr Sketches Of Spain, das 1959 und 1960 aufgenommen wurde, verzichtete zwar auf spanische Musiker, nicht jedoch auf spanische Mentalität. Im Jahre 1961 machte dann Saxofonist John Coltrane, die Lichtgestalt des Jazz, mit seinem Album Olé einen viel beachteten Ausflug in iberische Klanglandschaften. In den USA legten später auch Stars wie Chick Corea mit seinem 1976 erschienenen Album My Spanish Heart  Bekenntnisse zur Musik des südeuropäischen Landes ab.

In Spanien selbst war es der berühmte Flamenco-Gitarrist Paco de Lucia, der Anfang der 70er Jahre wohl als erster eine Liason mit dem Jazz einging.

Der Produzent Siegfried Loch trug die Idee, Jazz und Flamenco wieder zusammen zu führen, lange mit sich herum. 1989 wollte er Gil Evans für sein geplantes Projekt Jazzpaña (eine Wortschöpfung aus Jazz und España) gewinnen. Doch Evans, der von dem Vorhaben begeistert war, starb leider vor der Realisation von Jazzpaña. Schließlich konnte Siegfried Loch auf die enormen Talente des jungen amerikanischen Komponisten und Arrangeurs Vince Mendoza sowie auf das Geschick des aus der Türkei stammenden Produzenten-Moguls Arif Mardin vertrauen, der auch als Tonsetzer eine Größe ist. Das später mit mehreren Grammy-Nominierungen dekorierte Album Jazzpaña, das 1993 erschien, wurde unter Beteiligung solcher Jazz-Asse wie Michael Brecker, Al Di Meola und Steve Khan  sowie Peter Erskine eingespielt. Die Flamenco-Seite wurde etwa durch den Sänger Ramon "El Portugues", den Gitarristen Juan Manuel Canizares, den Saxofonisten und Flötisten Jorge Pardo und den Bassisten Carles Benavent repräsentiert. Im Rücken hatten die Solisten die fabelhafte WDR-Big Band. Am künstlerischen Erfolg gab es kaum Zweifel, wie die zahlreichen internationalen Rezensionen belegen. Auch kommerziell war Jazzpaña ein Triumph, der weltweit  in jazzunüblichen Verkaufszahlen gemessen werden konnte.

Sieben Jahre später folgt nun Jazzpaña II. Skeptische Geister könnten mutmaßen, dass hier nur der Versuch unternommen wird, ein erfolgreiches Konzept weiter auszuschlachten. Doch Jazzpaña II ist vielmehr eine konsequente Fortsetzung und Weiterentwicklung von Jazzpaña. Im Sonoland Studio zu Madrid kam im Sommer 2000 eine imposante Truppe zusammen, diesmal mit deutlichem spanischen Übergewicht: der aus Barcelona stammende Bassist Carles Benavent und der Saxofonist Jorge Pardo aus Madrid waren schon bei der letzten Aufnahme dabei. Neu dazu kamen der aus dem andalusischen Jerez stammende und nun in Madrid lebende Flamenco-Gitarrist Gerardo Nuñez, der Flamenco-Pianist Chano Dominguez aus Cadiz, der Schlagzeuger und Percussionist Tino Di Geraldo aus Madrid, der in spanischen Bebop-Kreisen gefeierte Alt- und Sopransaxofonist Perico Sambeat aus Valencia, der Cajón-Spieler Cepillo, der franko-iberische Wunder-bassist Renaud Garcia-Fons und schließlich die Gitano-Sängerin Esperanza Fernandez aus Sevilla.

All diese Musiker sind seit langen Jahren um die Verbrüderung von Jazz und Flamenco bemüht. Nur miteinander hatten sie selten zu tun. Jazzpaña II war die erste Zusammenführung dieser spanischen Ikonen. Die erhielten Unterstützung. Zum einen von sechs betagten Damen und Herren, die als Las Corraleras sogenannte Sevillanas singen, tanzen und dazu mit Hilfe von Löffeln, Mörsern und Tamburinen faszinierende Rhythmen zaubern, dann von drei "auswärtigen" Musikanten. Der in Chicago geborene und lebende Gitarrist Fareed Haque, Sohn chilenisch-pakistanischer Eltern, ist bekannt dafür, mit den verschiedensten Gitarrentechniken vertraut zu sein. Er spielt hier neben der akustischen auch elektrische Gitarren mit zahlreichen Effektgeräten und bildet damit einen interessanten Kontrast zum Spiel von Gerardo Nuñez. Der Amerikaner Michael Brecker ist nicht nur der meist dokumentierte sondern auch der meist imitierte Saxofonist seiner Generation. Die vielen Studiojobs haben das Feuer in seinem Spiel nicht erlöschen lassen, wie man auf Jazzpaña II deutlich nachhören kann. Für einige stimmungsvolle Arrangements sorgte schließlich der Engländer Colin Towns.

Jazzpaña II ist ein Album, das endlich einmal den Stellenwert der regen spanischen Jazzszene ins rechte Licht rücken möchte. Musikalisch steht hier im Vordergrund, dass Authentizität so wichtig ist wie eine Vision. Die Kompositionen zeigen die Wandlungsfähigkeit und den Facettenreichtum von Flamenco und Jazz.  Beide Musikstile wären ohne die Aufgeschlossenheit ihrer Protagonisten wertlos. Die Offenheit, die alle an Jazzpaña II Beteiligten offerierten, führte zu einem Ergebnis, das so klingt, als hätten Flamenco und Jazz schon immer irgendwie zusammen gehört.